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Lebensmittelbranche: Wie klimafreundliche Innovationen Unternehmen technologisch und kommunikativ voranbringen können

Christian Wolfram
08. November 2024
Food-Kommunikation

1. Einleitung

Die Reduzierung von Emissionen und die Einsparung von Ressourcen sind für die meisten Unternehmen zentrale Hebel zur Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele. Dabei verfolgen sie in der Regel zum einen ökonomische Ziele, die beispielsweise mit einer Verringerung des Strom- oder Energieverbrauchs einhergehen. Zum anderen sind viele von ihnen inzwischen auch gesetzlich durch die Anforderungen der CSRD-Richtlinie verpflichtet, Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen – und diese
Nachhaltigkeit ist längst auch für die Kommunikation zu einem zentralen Thema geworden. Wer glaubhaft sein Engagement in den Bereichen Umwelt und Soziales unter Beweis stellt, der kann sich auch kommunikativ gegenüber seinen Wettbewerbern in Vorteil bringen. Die Gefahr – das zeigt die Vielzahl von Klagen von Umweltverbänden und NGOs gegen Unternehmen – liegt allerdings im Greenwashing: Halten die Nachhaltigkeitsaussagen einer kritischen inhaltlichen Betrachtung stand oder handelt es sich vielmehr um Marketing mit grünem Anstrich?

Dieser Beitrag verknüpft das Thema klimafreundlicher Innovationen mit Erkenntnissen der bisherigen Deutschen Innovationsreports Food. Es zeigt, welche Chancen in Innovationen liegen, die zum Klimaschutz beitragen, welche Herausforderungen sie insbesondere an die Kommunikation stellen, und gibt Handlungsempfehlungen für Unternehmen.

2. Klimafreundliche Innovationen: Technische Möglichkeiten

In Abbildung 1 ist der Energiefluss des überwiegenden Teils der Unternehmen in der Lebensmittelherstellung beschrieben: Nutzenergie wird häufig aus fossilen Energieträgern – Gas, Kernkraft oder Kohle – gewonnen, in einem Kraftwerk in Strom umgewandelt und kommt schließlich mit Übertragungsverlusten in der Fabrik an. Untersuchungen zeigen, dass auf dem Weg dahin fast 60 % der ursprünglich eingesetzten Energie verloren gegangen sind. Nur 40 % können als Nutzenergie letztlich auch wirklich eingesetzt werden (s. Abb. 1).

Abb. 1: Nur ca. 40 % der eingesetzten Energie kommt beim Verbraucher an. Quelle: http://www.bosy-online.de/Kraftwerk.htm

Doch damit nicht genug: Um ein Lebensmittel zu verarbeiten, zum Beispiel es für den Garprozess zu erhitzen oder es haltbar zu machen, ist wiederum eine enorme Menge an Energie nötig.

Es gibt folglich zwei Hebel für eine klimafreundlichere und energiesparendere Lebensmittelproduktion. Der eine ist die direkte Versorgung mit alternativen Energiequellen ohne Umwege und Verluste. Immer mehr Unternehmen haben dies bereits angestoßen, denken über eigene Windräder nach, versorgen sich mittels PV-Anlagen usw. Der andere Hebel betrifft die Technologie innerhalb der Produktion. Beides zusammen ergibt nahezu ein Idealbild für den Klimaschutz: eine (fast) CO2-freie Herstellung.

a. Direkte Energieversorgung

Alternative Energiequellen wie Photovoltaik oder Windkraft haben nicht nur den Vorteil, dass sie Energie ohne fossile Energieträger liefern, sondern auch, dass der Strom direkt vor Ort erzeugt werden und in die Produktionsanlage geleitet werden kann. Lange Transportwege entfallen, wenn die PV-Anlage direkt auf dem Dach der Fabrik installiert ist oder das Windrad auf oder neben dem Betriebsgelände steht. Dieser direkte Weg minimiert Energieverluste, die sonst bei der Umwandlung und Übertragung über lange Distanzen auftreten würden. Das Ergebnis ist eine deutlich effizientere Energieversorgung, die nicht nur die Betriebskosten senkt, sondern auch die Nachhaltigkeitsziele der Unternehmen unterstützt. Ein weiterer Vorteil: Zusätzlich zur direkten Einspeisung können überschüssige Energien in Batteriespeichersystemen gespeichert oder in das lokale Stromnetz eingespeist werden. Diese Flexibilität ermöglicht es, den Stromverbrauch zu optimieren und Ausfälle oder Spitzenlasten besser zu managen.

b. Emissionsfreie Technologie: Beispiel Ohmic Heating

Während die direkte Energieversorgung bereits Gegenstand der Energiekonzepte vieler Unternehmen ist, besteht beim zweiten Hebel für eine klimafreundlichere Lebensmittelproduktion noch wesentlich mehr Potenzial: der Nutzung emissionsfreier Technologien zum Erhitzen von Lebensmitteln.

Die Erhitzung von Lebensmitteln ist ein fundamentaler Bestandteil sowohl der industriellen Lebensmittelproduktion als auch der Lebensmittelzubereitung. Sie dient der Haltbarmachung, der Vorbehandlung, dem Garen oder auch der Veränderung der Textur. In den vergangenen Jahren haben Verbraucher zunehmend Wert auf die Erhaltung funktioneller Inhaltsstoffe sowie auf die optischen und sensorischen Eigenschaften der Lebensmittel gelegt. Dies hat zu einem steigenden Interesse an effizienten und schonenden Erhitzungsverfahren in der Lebensmittelindustrie geführt. Ein Beispiel für ein schonendes Erhitzungsverfahren, das darüber hinaus nahezu CO2 neutral durchgeführt werden kann, bietet das so genannte Ohmic Heating.

Ohmic Heating, auch als Widerstandserhitzung oder Joule Heating bekannt, ist eine innovative Methode zur Erhitzung von Lebensmitteln, die auf dem Prinzip des elektrischen Widerstands basiert. Dabei wird elektrischer Strom durch ein Lebensmittel geleitet, das zwischen zwei Elektroden platziert ist. Aufgrund des Ohmschen Widerstandes kommt es zur Erwärmung: die elektrische Energie wird hierbei im Lebensmittel selbst in thermische Energie umgewandelt. Somit erfolgt die Erhitzung genau dort, wo sie benötigt wird, im Lebensmittel selbst. Im Vergleich zu konventionellen thermischen Verfahren bietet Ohmic Heating eine ganze Reihe von Vorteilen: kürzere Erhitzungszeiten, eine gleichmäßigere und schonendere Erwärmung und die Möglichkeit, auch große Mengen gleichzeitig zu erhitzen, da die Wärme im gesamten Volumen des Lebensmittels gleichzeitig erzeugt wird. Zudem ermöglicht das Verfahren aufgrund der kürzeren Behandlungszeiten eine bessere Erhaltung von Farbe und Nährstoffen.

Dem gegenüber steht die traditionelle Erhitzung von Lebensmitteln, die als indirekte Erhitzung bezeichnet werden kann. Hierbei wird ein Medium wie Wasser, Dampf oder Luft zum Transport der thermischen Energie erhitzt, um diese Energie anschließend an das Lebensmittel zu übertragen. Dieser zweistufige Prozess kann zu ungleichmäßiger Erwärmung (z. B. aufgrund heißer Oberflächen) und hohen Energieverlusten führen. Direkte Erhitzungsmethoden wie das Ohmic Heating hingegen umgehen diese Probleme, da der elektrische Strom als primäre Energie im Lebensmittel umgewandelt wird. Das bedeutet, es bedarf keiner zusätzliche Umwandlung der Primärenergie, was mögliche Verluststufen reduziert.
Einzige Voraussetzung für das Ohmic Heating ist, dass das Lebensmittel eine gewisse elektrische Leitfähigkeit aufweist, damit der Strom das Lebensmittel durchfließen kann. Die elektrische Leitfähigkeit ist in vielen Lebensmitteln durch das Vorhandensein eines gewissen Anteils an Wasser und geladener Teilchen (z. B. Salze) gegeben. Getränke, Saucen, Suppen, Dressings, Backwaren, Fisch- und Fleischwaren, Molkereiprodukte, Eiprodukte, Gemüse & Obst, Konserven sowie Gele, Puddings und Cremes sind daher für das Ohmic Heating grundsätzlich geeignet.

Auch das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) in Quakenbrück erforscht derzeit verschiedene Anwendungen des Ohmic Heating. Erste industrielle Anwendungen gehen bereits auf die 1930er Jahre zurück, doch aufgrund hoher Stromkosten wurde das Verfahren lange Zeit nur sporadisch genutzt. In den vergangenen Jahrzehnten haben das gestiegene Interesse an nachhaltigen Produktionsverfahren und gesunkene Strompreise zur Wiederentdeckung dieser Technologie geführt.

Herausforderungen bestehen bei inhomogenen oder mehrphasigen Lebensmittelsystemen, da unterschiedliche elektrische Leitfähigkeiten der Komponenten zu ungleichmäßiger Erwärmung führen können. Hier müssen Anpassungen vorgenommen werden, um Hot-Spots oder Cold-Spots zu vermeiden.

Abb. 2: Für die Forschung und Entwicklung am DIL stehen eine Batch-Anlage (links) und eine kontinuierliche Anlage (rechts) zum Ohmschen Erhitzen zur Verfügung. Quelle: DIL e.V.

Im Deutschen Innovationsreport Food 2023 haben 31 Prozent der befragten Unternehmen angege-ben, so viel Potenzial im Ohmic Heating zu sehen, dass sie sich vorstellen können, die Technologie in ihrem Unternehmen in Zukunft einzusetzen. Das sind fast doppelt so viele wie bei der Befragung im Jahr 2021, als 16 Prozent Ohmic Heating als mögliche zukünftige Technologie in ihrem Unternehmen nannten. Immer mehr Unternehmen erkennen also anscheinend das Potenzial, das im Ohmic Heating steckt. Die Zahlen beeindrucken auch vor dem Hintergrund, dass nicht alle Befrag-ten, die an der Studie teilnahmen, überhaupt Produkte herstellen, die für das Ohmic Heating infrage kommen.

3. CO2-freie Technologien: Kommunikative Chancen und Herausforderungen

Fassen wir zusammen: Insgesamt bietet das Ohmic Heating eine energieeffiziente Alternative zu herkömmlichen Erhitzungsmethoden, kann durch die direkte Nutzung der Primärenergie höhere Wirkungsgrade erzielen und kommt noch dazu ohne den Einsatz fossiler Energie aus, wenn es beispielsweise über eine direkte Energieversorgung an eigene Windkraft oder Photovoltaik angebunden ist. Dies macht es zu einer vielversprechenden Technologie für eine nachhaltige und effiziente Lebensmittelproduktion und könnte einen Puzzlestein für eine nahezu CO2-freie Energienutzung sein.

Was bedeutet das für die Kommunikation? Auf den ersten Blick scheinen die Voraussetzungen gut: Es handelt sich um eine Technologie, die im Idealfall zu 100 Prozent erneuerbare Energien einsetzt und noch dazu ohne nennenswerten Energieverlust arbeiten kann. Dennoch stellen sich für die Kommunikation einige weiterführende Fragen, die beantwortet werden müssen:

Wie relevant ist die Technologie für den eigenen CO2-Fußabdruck? Kommunikativ nutzen lässt sich ein Nachhaltigkeitsthema nur, wenn es eine Relevanz für das Gesamtbild hat. Anders ausgedrückt: Wenn der Einsatz einer Technologie nur einen verschwindend kleinen Anteil am gesamten Fußabdruck ausmacht, besteht die Gefahr des Greenwashings, wenn ein Unternehmen es zu stark in der Kommunikation einsetzt. Die Maßnahme wäre ein Feigenblatt ohne echten Mehrwert für die Nachhaltigkeit.

Besteht ein Alleinstellungsmerkmal durch den Einsatz der Technologie? Eine neue Technologie kann ein Unternehmen auf vielfältige Weise voranbringen, nicht nur, weil es dazu beiträgt, nachhaltiger zu wirtschaften oder Kosten zu sparen. Doch wenn der Einsatz innerhalb der Branche bereits gang und gäbe ist oder viele Wettbewerber sie auch schon nutzen, ist kein Nachrichtenwert vorhanden, und es ergibt sich daraus kein kommunikatives Thema. Im Falle des Ohmic Heating ist das nicht der Fall. Unternehmen, die diese Technologie heute schon nutzen, verfügen aktuell noch über ein Alleinstellungsmerkmal, das sie auch für die Kommunikation nutzen können.

Wie erklärungsbedürftig ist die Technologie? Hier wird es kompliziert. Der Deutsche Innovationsreport Food aus dem Jahr 2023 hat eine These der vorangegangenen Reports bestätigt: Die Kommunikation von Prozessen wird insgesamt herausfordernder wahrgenommen als die von produktbezogenen Innovationen wie zum Beispiel neuen Rezepturen oder Verpackungen. So gaben 72 Prozent der Befragten an, dass sie die Kommunikation neuer Technologien überwiegend herausfordernd ansehen. Das liegt ohne Zweifel darin begründet, dass technologische Innovationen für die beiden wichtigsten Zielgruppen – den Handel und die Verbraucher – weder relevant noch sichtbar sind. Hinzu kommt, dass Prozesse wie Ohmic Heating technologisch höchst anspruchsvoll sind und ihr Vorteil nur mit enormem Erklärungsaufwand kommuniziert werden kann.

Wie können technologisch komplexe klimafreundliche Innovationen dennoch an die relevanten Zielgruppen kommuniziert werden? Dazu einige Tipps:

  • Anschaulich erklären: Auch wenn es auf den ersten Blick schwierig erscheint – es gibt verschiedene Möglichkeiten, auch komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Schaubilder, Grafiken, Erklärvideos oder Factsheets: Gerade für die digitale Kommunikation zum Endverbraucher (in den Sozialen Medien), aber auch in der Handelskommunikation bieten sich bildliche Kommunikationsmittel an. Auch Zahlen wie beispielsweise der Erreichungsgrad von Reduktionszielen lassen sich auf diese Weise sehr anschaulich darstellen.
  • Entmystifizieren: So manche komplexe Technologie erreichte nicht die Akzeptanz der Zielgruppe, weil Vorurteile gegen sie vorherrschten. Diese entstehen jedoch nicht selten aufgrund von Unwissenheit. Noch einmal das Beispiel Ohmic Heating: Der Gedanke, dass ein Lebensmittel mit Hilfe von Stromwellen erhitzt wurde, mag dem einen oder anderen Verbraucher ungewöhnlich („künstlich“) vorkommen. Dabei nutzen fast alle Haushalte eine ähnliche Technologie schon seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich: die Mikrowelle. Zu erklären, dass die Sorgen der Verbraucher erkannt wurden und beispielsweise keine Gesundheitsgefahr von der Technologie ausgeht, ist eine wichtige Aufgabe der Kommunikation.
  • In den Gesamtkontext stellen: Für eine glaubwürdige Kommunikation ist es wichtig, Einzelmaßnahmen in einen Gesamtkontext zu stellen. Ein Unternehmen sollte also in der Lage sein, neben der technologischen Innovation auf eine Reihe weiterer Maßnahmen im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie zu verweisen, in der die Technologie ein weiteres Puzzleteil darstellt.

4. Fazit

Klimafreundliche Innovationen sind unbestritten ein Gewinn für die eigene Klimabilanz und lohnen sich nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gesichtspunkten. Für die Kom-munikation hingegen muss stets abgewogen werden: Wie groß ist der Aufwand, ein komplexes Thema zu erklären – und wem möchte bzw. muss ich es überhaupt erklären?

Der Deutsche Innovationsreport Food

Bereits seit vier Jahren beleuchten Engel & Zimmermann und das DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltech-nik e.V. im Rahmen einer Gemeinschaftsstudie regelmäßig die Innovationstätigkeit der deutschen Lebensmittelwirtschaft. Der seitdem dreimal veröffentlichte Deutsche Innovationsreport Food, bei dem Entscheider deut-scher Hersteller von Lebensmitteln befragt werden, besteht aus mehreren Teilen: zur allgemeinen Innovationstätigkeit in Produkten und Prozessen, zur Finanzierung und zur Kommunikation von Innovationen. Einen Schwerpunkt bildet immer das Thema Nachhaltigkeit.
Das „Flashlight Innovationsreport“ setzt in der Zeitspanne zwischen zwei Studien thematische Schwerpunkte – aktuell zum Thema Klimafreundliche Innovationen. Alle drei bisher erschienenen Reports stehen zum Download bereit unter www.innovationsreport-food.de.

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